Wie positioniert sich der Humanismus in Zeiten der Krise?

Foto: Sandro Schroeder/flickrcc unter CC BY 2.0

Andrew Copson ist Präsident der International Humanist and Ethical Union.

Erlebt die Welt einen politischen Rückschlag? Eskaliert der Terror? Andrew Copson schildert, wo der Humanismus ansetzen kann, wenn unsere Zeit scheinbar von Kräften bestimmt wird, die für Verrohung und Entmenschlichung stehen.

Verzweiflung, apokalyptischer Pessimismus gar, wäre eine naheliegende Antwort auf den gegenwärtigen Zustand der Welt. Die Berichterstattung wird weltweit vom Terrorismus dominiert. Afghanistan, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien leiden am stärksten unter terroristischen Angriffen. 2014 entfielen 78 Prozent der Todesopfer und 57 Prozent aller Terrorangriffe auf diese fünf Länder, und auch 2015 führen diese fünf Länder die Liste der Nationen an, die am meisten von Gewalt betroffen sind. Auch das bislang relativ sichere Bangladesch hat sich in nur wenigen Jahren zu einer Zielscheibe der Gewalt entwickelt.

 Führende europäische Länder wie Frankreich und Deutschland wurden wiederholt und auf tragische Weise Opfer von Angriffen. Für die Toten mag es gleichgültig sein, auf welche Weise sie getötet wurden, doch es liegt etwas berechnet Entmenschlichendes in den Angriffen, das uns mit Fassungslosigkeit, Wut und Verzweiflung zurücklässt. Zugleich ist zu beobachten, dass die Aufmerksamkeit der Medien und vielleicht auch die emotionale Schlagkraft des Terrorismus zurückzugehen scheinen. Die Häufung der Ereignisse stumpft ab.

Populismus und politische Regression

Andererseits nehmen in vielen Ländern populistische Tendenzen zu, wobei Populismus freilich nicht mit bloßer Popularität verwechselt werden sollte. Im Populismus wird die Popularität zu einem ideologischen Ziel um ihrer selbst willen, gestützt durch eine Politik, die die Welt in übertriebener Weise vereinfacht. Es werden Sündenböcke definiert und bestimmte Personengruppen entmenschlicht, andere wiederum hofiert; die Wirklichkeit wird verzerrt und Versprechungen werden verkündet, die entweder vage sind („Ich sorge für Ihre Sicherheit“) oder deren Einhaltung neue Übel schaffen würden („Wir weisen sie alle aus“, „an erster Stelle steht für uns nur unser Land“ usw.).

Populistische nationalistische Parteien und Kandidaten erhalten in vielen Ländern Europas Zulauf, und die Philippinen haben soeben erst die Wahl von Rodrigo „Digong“ Duterte zum Präsidenten erlebt, der sich dem Prinzip der Menschenrechte radikal entgegenstellt und seine Bürger sogar zur Lynchjustiz aufruft. Russland hat sich mit Putin längst seiner eigenen Variante eines militärischen, nach Dominanz strebenden Populismus ergeben. In der Türkei stellt der übersteigerte Gegenschlag gegen die „Putschisten“, der alle potenziellen politischen Gegner einbezieht, einen neuen Höhepunkt einer antidemokratischen, antisäkularen und gegen die Grundrechte gerichteten Unterdrückung am Rande Europas dar. Die IHEU ist parteipolitisch neutral, aber für viele HumanistInnen ist der Aufstieg von Trump in den USA, der ein Musterbeispiel für eine neue demagogische Ausrichtung darstellt, ein weiterer Grund zur Besorgnis, ebenso wie die Erschütterungen Europas durch eine EU-feindliche Grundstimmung, die mit der Aufgabe transnationaler Ideale verbunden ist.

Eine Herausforderung: die Wahrung des Humanismus

Wie sollen HumanistInnen auf diese Situation reagieren? Wer könnte von Frankreich verlangen, nach dem Massaker vom November zur Tagesordnung überzugehen, oder von Deutschland, nach Wochen wiederholter Angriffe seine Zuversicht zu wahren? Wer könnte im Südsudan, Kongo, Jemen oder in Irak oder Syrien noch davon reden, dass bei allem kurzfristigen Pessimismus Licht am Ende des Tunnels zu sehen sei? Wie können wir die Hoffnung aufrechterhalten, die Welt besser zu machen, wenn schon die Wahrung des Erreichten als Herkulesaufgabe daherkommt? Den wiederholten Fehldeutungen einiger Kritiker zum Trotz war der Optimismus des Humanismus niemals naiv. Wir ersetzen blinden Glauben nicht durch blinde Hoffnung und den Gottesdienst nicht durch eine Überhöhung des Menschen. Unser Humanismus setzt seit jeher auf Rationalität und Vernunft und somit auf Skeptizismus und Realismus, gerade auch in Bezug auf den Humanismus selbst. Es wäre daher falsch, Krisenlagen und Terrorismus als Argumente gegen eben jenen Humanismus hervorzuziehen. Doch wie begreift sich der Humanismus, den wir im gewissen Sinn als zuversichtliche Wertung des menschlichen Potenzials verstehen, in einer Phase globaler Instabilität und Bedrohungen?

Drei Gedanken, die wir uns bewusst machen sollten

Von Albert Camus stammt der Satz: „Die Aufgabe eines Schriftstellers liegt darin, die Zivilisation von der Selbstzerstörung abzuhalten.“ In Zeiten der Krise lässt sich das auch über den Humanismus sagen. Ich will Ihnen nicht vorschreiben, was Sie über die neue Krisenstimmung denken oder wie Sie darauf reagieren sollten. Doch es gibt einige Gedanken, die wir uns bewusst machen und offensiv in die Debatten einbringen sollten, die überall in Europa geführt werden:

Wir dürfen Terrorismus nicht mit verbrecherischer Genialität verwechseln. Für einen Mord braucht man kein Superhirn. Dass die meisten Terrorakte in irgendeiner Weise intelligent vorbereitet seien, ist nichts als ein Medienhype. Wer Terroristen solcherlei Fähigkeiten unterstellt, verleiht ihnen nur zusätzliche Macht und spornt Trittbrettfahrer an. Selbst überdurchschnittlich gut koordinierte Angriffe sind einfacher gestrickt als die Logistik, die zum Beispiel zur Führung eines Unternehmens erforderlich ist. (Hier sei zum Beispiel darauf verwiesen, dass die ISIS zwar die „Verantwortung“ für solche Angriffe übernimmt, dass es aber oft fraglich ist, ob tatsächlich eine Verbindung besteht. Es dauert in der Regel mehrere Tage oder Wochen, bis feststeht, ob ein Angriff wesentlich von außen unterstützt oder nur von einem Einzeltäter verübt worden ist.) Wir müssen unsere Worte sorgfältig wählen und dürfen nicht der Versuchung erliegen, den Terror zu glorifizieren.

Langfristig ist die Entwicklung positiv. Gewalt und Massensterben, kurze und von Krankheiten geprägte Lebensspannen, sogar der Anteil der Menschen, die ihr Leben in einer Diktatur fristen müssen, sind im Lauf der Zeit spürbar zurückgegangen. Das ist kein Anlass zur Selbstzufriedenheit. Ganz im Gegenteil müssen wir uns bewusst sein, dass der Fortschritt nie von selbst gekommen ist und unseren ganzen Einsatz fordert. Doch die langfristige Entwicklung gibt Grund zur Hoffnung, und sie bietet den Kontext zu einer Erkenntnis des britischen Philosophen A.C. Grayling über konservative oder radikale Religiosität und den Islamismus: „Was wir heute erleben, ist kein Wiedererstarken der Religion, sondern ihr Todeskampf.“

Das Ende ist nicht nah. Es mag sein, dass die Zivilisation verschiedenen Bedrohungen ausgesetzt ist, darunter auch existenziellen Risiken, die wir Menschen selbst geschaffen haben: der Gefahr eines Atomkriegs oder von Massen-Bioterror, dem kaum aufzuhaltenden Klimawandel. Doch ein Jahrhundert der Weltkriege und des ideologischen Terrors muss uns vor Augen führen, dass selbst von Armeen überrannte Städte Widerstandskraft haben, dass zerstörte Länder Brücken wiederaufbauen und sogar ehemalige Todfeinde grenzübergreifend zusammenarbeiten können, um Raumstationen in die Umlaufbahn zu bringen, Krankheiten zu heilen oder ein Netzwerk aufzubauen, das den gesamten Planeten umspannt. Meldungen über den Tod der Zivilisation sind ziemlich übertrieben. Die Welt wächst zusammen, und das zeitigt neue Herausforderungen, bisweilen auch Rückschläge. Aber auch wenn der Fortschritt nur schubweise kommt und ab und an Rückschläge zu überwinden sind, lässt sich diese neue, globale Zivilisierung nicht mehr aushebeln. Zerstörung ist von kurzer Dauer, Fortschritt bleibt.

Unbestreitbar: Schaden lässt sich relativ leicht anrichten. Gutes zu tun kostet mehr Kraft. Doch wenn wir erst einmal Neues errungen haben, neue Ideen und Erfindungen etwa, neue Rechte und Freiheiten, lässt es sich nicht mehr aus dem Gedächtnis der Menschheit löschen. Und ja, es gibt Menschen, die gegen diesen Fortschritt vorgehen und Morde begehen, um die Freiheiten anderer zu beschneiden. Doch einmal aus der Flasche, lässt sich der Geist des Fortschritts nicht mehr aufhalten. Die Asymmetrie zwischen der Leichtigkeit der Zerstörung und der Mühsal, Gutes zu tun, wird durch eine andere kontrastiert: Der Vergänglichkeit der Zerstörung steht die Beständigkeit und Widerstandskraft von Fortschritt und Freiheit gegenüber. HumanistInnen müssen aus dieser Tatsache beharrlich Hoffnung schöpfen und diese Hoffnung zur Maxime ihres Handels machen: beherzt und konstruktiv, hoffnungsfroh und gefasst. In einer von Hass und Gefahr bedrängten Welt liegt in dieser Haltung die wesentliche Aufgabe des Humanismus.

 

Der Artikel erschien zuerst auf den Seiten der International Humanist and Ethical Union. Übersetzung: Stefan Friedrich.

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